Betriebssystem: »AmigaOS 4«

Nachdem AmigaOS bereits seit einiger Zeit auf Amigas mit CyberStorm PPC-Karten lief, konnten Thomas und Hans-Joerg Frieden von Hyperion Entertainment im Spätsommer AmigaOS 4 auf dem AmigaOne erstmalig bis hin zur Workbench booten.

Die beiden Brüder berichteten auf der Entwickler-Mailingliste von dem ergreifenden Moment zu sehen, wie die Workbench auf dem AmigaOne das erste Mal den Bildschirm öffnete und das erste Piktogramm erschien, auch wenn es nur ein Rechteck mit einem Laufwerksnamen war, weil es noch keine Routinen für das Blitten planarer Bitmaps gab. Es gab keinen Maustreiber und vieles andere fehlte noch, doch der große Durchbruch war geschafft.

Nur fünf Tage später lief die Workbench stabil auf einer »Voodoo 3«-Grafikkarte unter »Picasso 96« in der Auflösung 1024×768 mit 65536 Farben und auch die Piktogramme wurden vollständig dargestellt. Das Picasso-96-System und die »graphics.library« waren schnelle Anpassungen, um »AmigaOS 4« auf der Amiga-One-Hardware endlich zum Laufen zu bringen.

Nun war es nur noch eine Frage der Zeit, bis »AmigaOS 4« das erste Mal der Öffentlichkeit präsentiert werden konnte. Dies geschah für Uneingeweihte völlig überraschend vom 20. bis 21. September auf der »Pianeta Amiga« in Empoli bei Florenz in Italien. Während die Besucher erwarteten, AmigaOS 4 würde wie auf den vorangegangenen Shows nur auf einem alten Amiga 4000 präsentiert, bekamen sie stattdessen AmigaOS 4 erstmals auf einem AmigaOne zu sehen. Die Neuigkeit verbreitete sich in Windeseile. So auch auf Internet-News-Seiten außerhalb der Amiga-Szene wie z.B. OS-News.com.

Auf der Pianeta wurde AmigaOS 4 direkt von CD in eine RAM-Disk gebootet und von dort gestartet. Es gab noch keinen Festplattentreiber und AmigaOS 4 lief ausschließlich auf Voodoo-3-Grafikkarten. Seitdem hat sich einiges getan: Inzwischen wurde AmigaOS 4 einige weitere Male der Öffentlichkeit gezeigt. Zum Beispiel auf der Benelux-Amiga-Show in Rotterdam am 4. und 5. Oktober 2003 sowie direkt durch Alan Redhouse auf einer großen Computer-Show in Peking in China. Ein einfacher Festplattentreiber für den ATA-Controller auf dem AmigaOne-Board ist ebenso hinzugekommen wie ein Treiber für den auf dem Board verwendeten Ethernet-Chipsatz von 3COM. Zudem gibt es bereits einen AHI-Treiber für Soundblaster Live-Soundkarten. Auch ein Treiber für »ATI Radeon«-Grafikkarten existiert mittlerweile.

Das erste Mal
Grund genug für die Amiga-Magazin-Redaktion, AmigaOS 4 auf dem AmigaOne genauer unter die Lupe zu nehmen. Ein AmigaOne- XE-Rechner mit einem mit 800 MHz getakteten G4-Prozessor, 256 MByte RAM, einer ATI Radeon-Karte und einer 60 GByte Maxtor-Festplatte sollte als Testrechner dienen (s. »AmigaOne«).

Doch zuvor waren noch einige Hürden zu überwinden: Zunächst musste die U-Boot-Firmware aktualisiert werden, damit AmigaOS 4 auf dem AmigaOne gebootet werden konnte. Da der Testrechner einen Flash-ROM-Chip mit Software-Schutz hatte, konnte das Update nicht im AmigaOne selbst erfolgen. Hyperion Entertainment tauschte den Chip postwendend gegen ein Flash-ROM mit der aktuellen Firmware aus. Für reguläre Kunden, die einen AmigaOne mit einer Software-geschützten alten Firmware haben, übernimmt der Händler den Austausch-Service. Nun musste nur noch eine »Voodoo 3«-Karte besorgt werden, da AmigaOS 4 zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf Radeon-Grafikkarten lief.

Der 19. Oktober 2003 sollte der Tag sein, an dem AmigaOS 4 das erste Mal auf unserem Testrechner bootete. Ein Amiga 4000 mit CyberStorm-PPC-Karte diente als System, um das AmigaOS 4 für den AmigaOne auf eine Festplatte zu installieren.

Wir kopierten dazu die bereits auf der CyberStorm-PPC-Karte lauffähige AmigaOS-4-Installation und passten sie an den AmigaOne an. Dazu war es unter anderem nötig, Treiber und Einstellungen zu kopieren, damit die Voodoo-3-Karte via »Picasso 96« zur Grafikausgabe verwendet würde.

Mit Hilfe der neuen »Media Toolbox« richteten wir am Amiga 4000 für den ersten Test eine kleine, langsame, alte Festplatte für den Betrieb im AmigaOne ein und kopierten das AmigaOS-4-System darauf. Danach kam die Festplatte in den AmigaOne.

Eine Boot-CD sollte dazu dienen, um von der AmigaOne-Firmware U-Boot aus den OS-4-Kernel und die Kernel-Module wie die System-Bibliotheken »intuition. library«, »dos.library« und den Festplattentreiber »a1ide.device« zu laden ­ der AmigaOS-Kickstart für den AmigaOne sozusagen. Alternativ wäre auch ein Booten über das Netzwerk via TFTP oder die Installation des Kernel-Boot-Images in eine leere RDB-Partition möglich gewesen.

Nachdem der AmigaOne mit Hilfe eines Nullmodem-Kabels mit dem Amiga 4000 verbunden war, konnte es losgehen. Mit Spannung fieberten wir dem ersten Boot-Versuch des Systems entgegen. Er endete mit einem Crash. Es stellte sich heraus, dass die kopierte CyberStormPPC-Version von AmigaOS 4 nicht ausreichend an den AmigaOne angepasst war.

Nach der Installation eines etwas älteren »AmigaOS 4«-Snapshots für den AmigaOne vom Entwickler-FTP-Server, starteten wir dann den zweiten Versuch: Wir schalteten den AmigaOne ein, legten die Boot-CD ein und tippten dann in die U-Boot-Eingabe-Aufforderung den Befehl:

setenv stdout serial;diskboot 500000 1:0

Flugs den Monitor auf dem Amiga 4000 umgeschaltet, um mit Hilfe des Terminalprogramms »term« von Olaf Barthel die Debug-Ausgaben zu betrachten. Der AmigaOne lud das OS-4-Image von der Boot-CD. Dann ging alles ganz schnell. Der AmigaOS-4-Kernel und die Kernel-Module wurden geladen und initialisiert. Die CPU und die PCI-Karten im System wurden erkannt.

Wir schalteten den Monitor auf den AmigaOne um. Noch war es nur ein schwarzer Bildschirm, der uns entgegenstarrte, doch dann erschien der Workbench-Bildschirm in seiner ganzen Pracht. Unmittelbar wurde der ergreifende Moment, von dem die beiden Frieden-Brüder berichteten, für uns nachvollziehbar.

Nachdem das Workbench-Fenster und die Piktogramme aufgebaut waren, ließ sich die Workbench mit Maus und Tastatur genauso verwenden wie auf dem Amiga 4000. Und doch lief sie auf einem System, das keinerlei Amiga-Custom-Chips und keinen 680×0-Prozessor mehr enthält.